Rahr: „Dann droht der Dritte Weltkrieg“

Alexander Rahr Russland Experte in der ARD Talkshow ANNE WILL am 05 03 2014 in Berlin
Alexander Rahr Russland Experte in der ARD Talkshow ANNE WILL am 05 03 2014 in Berlin(c) imago/M�ller-Stauffenberg (imago stock&people)
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Alexander Rahr ist als deutscher „Russland-Versteher“ ebenso einflussreich wie umstritten. Der Putin-Biograf erklärt die russische Sicht auf den Krim-Konflikt.

Berlin. Alexander Rahr ist in diesen Tagen ein gefragter Mann. Kein deutscher Russland-Experte hat sich so sehr der Kreml-Sicht der Dinge verschrieben. Vor zwei Jahren stimmte der einflussreiche Politologe für ein Moskauer Boulevardblatt sogar in die antiwestliche Propaganda vom „aggressiven Wertediktat“ der EU ein. Doch der umstrittene Putin-Biograf liefert auch Einblicke in die Motivationslage der russischen Machtelite – wie am Mittwoch vor der Auslandspresse in Berlin.

Die Ursache für den Konflikt datiert Rahr auf September zurück, als Putin den „geheim verhandelten“ Entwurf für das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zu Gesicht bekam. Der Kreml habe „kein echtes Problem“ damit, wenn sich Ex-Sowjetstaaten in Richtung EU orientieren. Aber wenn von einem „gemeinsamen Sicherheitsraum“ die Rede sei, dann „läuten alle Alarmglocken“ – weil Putin darin einen ersten Schritt in eine Nato-Integration sehe, ein Überschreiten seiner „roten Linie“. Die EU habe hier „mit härtesten Bandagen“ gekämpft. Unmittelbar ausgelöst habe Putins „emotionale Überreaktion“ der letzte Tag der Spiele in Sotschi, an dem Janukowitsch „gestürzt wurde“ und der Westen nicht den olympischen Gastgeber, sondern die Demokratiebewegung in der Ukraine feierte.

Für Sanktionen zu verflochten

Nun drohe ein „Konflikt ungeahnten Ausmaßes“ über die „Zukunft Europas“, bei dem die Krim nur ein Nebenschauplatz sei. Natürlich agiere Russland nationalistisch. Aber Putin sei früher auch mit Vorschlägen auf Europa zugegangen: Wirtschaftsraum, Energieallianz, gemeinsame Raketenabwehr. Das alles fand kein Gehör, was sich nun räche. Der Westen könne den Konflikt nicht lösen, „indem er alle GUS-Staaten in die Nato aufnimmt – dann stehen wir an der Schwelle zum Dritten Weltkrieg“.

Als gering schätzt Rahr, der auch den deutschen Gashändler und Gazprom-Partner Wintershall berät, die Gefahr von scharfen ökonomischen Sanktionen ein. Viel zu stark „verflochten“ seien dafür die Volkswirtschaften. Für beide Seiten sei es „völlig utopisch und abwegig“, kurzfristig auf das Geschäft mit Rohstoffen zu verzichten. Auch eine Enteignung europäischer Unternehmen in Russland, die „nur ein Hinterbänkler in der Duma“ gefordert habe, sei undenkbar.

Welche Länder, in denen Russen leben, müssen sich nun vor neuem Imperialismus fürchten? In einer „Einheit mit Russland“ werde nur Belarus und die Ostukraine gesehen. Und Transnistrien, an dem sich Putin aber nicht die Finger verbrennen wolle – zu erstarrt seien dort die Strukturen, zu gefährlich die Lage der Region an der Grenze zu EU und Nato. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2014)

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